Dieses Blog durchsuchen

Dienstag, 28. Mai 2013

Grundsatzrede des Bundesministers der Verteidigung: Sicherheit und Souveränität - Deutschlands Verantwortung

Berlin (ww) Der Bundesminister der Verteidigung, Thomas de Maizière, hielt am 28. Mai 2013 anlässlich der Berliner Strategiekonferenz des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e.V. eine Grundsatzrede zum Thema „Sicherheit und Souveränität – Deutschlands Verantwortung“ in Berlin.
Thomas de Maizière, Bundesminister der Verteidigung. Foto: BMVg

Natürlich stand die Rede im Schatten der Diskussionen über das Ende des Eurohawks (den die Herstellerfirma - etwa eigenfinanziert ??? - weiter entwickeln will) sowie über Rüstungsexporte.
Der S&T-Blog veröffentlicht weiter unten das vorab zur Verfügung gestellte Redemanuskript.

An der Tagung in einem Berliner Nobelhotel nahm auch de Maizières niederländische Amtskollegin Jeanine Hennis-Plasschaert, die der Minister vorher mit militärischen Ehren im Bendler-Block empfangen hatte.

Die Amtskollegen schreiten die Ehrenformation ab. Foto: BMVg

Beide Minister unterzeichneten eine gemeinsame Absichtserklärung über eine vertiefte militärische Zusammenarbeit, die ein „Startpunkt für eine neue Qualität der deutsch-niederländischen Zusammenarbeit" sein soll. Das Dokument nennt sicherheits- und rüstungspolitische, fähigkeitsbezogene sowie Einsatzaspekte gleichermaßen.


Ein zentrales Gemeinschaftsprojekt ist beispielsweise die Unterstellung der niederländischen 11. Luchtmobiele Brigade unter die neu aufzustellende deutsche Division Schnelle Kräfte in Stadtallendorf. Eine intensive Zusammenarbeit soll es auch im Bereich der Instandsetzung von Großgeräten geben, wie dem Hubschrauber NH90, dem Spähwagen Fennek oder dem gepanzerten Transportfahrzeug Boxer. „Das ist smart, das poolt, das ist effektiv für alle Beteiligten“, sagte de Maizière.




Rede des Bundesministers der Verteidigung
Dr. Thomas de Maizière
anlässlich der
Berliner Strategiekonferenz
des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e.V.
zum Thema
„Sicherheit und Souveränität – Deutschlands Verantwortung“
am 28. Mai 2013
in Berlin


Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Gerwert,
sehr verehrte Frau Kollegin,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich danke für die freundliche Begrüßung und die Einladung, die Eröffnungsrede für dieses neue sicherheitspolitische Forum zu halten.
Ich freue mich, dass sich der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie mit dieser Konferenz am grundsätzlichen sicherheitspolitischen Diskurs beteiligt, auch abseits rüstungspolitischer Fragen. Denn das ist das erklärte Ziel.
Meine Rede ist im Programm als „Grundsatzrede“ angekündigt. Und das auf einer „Strategiekonferenz“ – ambitionierter hätte das Erwartungsmanagement des Veranstalters kaum vorgehen können.
Machen wir es doch eine Nummer kleiner. Ich freue mich über diese Konferenz im nationalen Format, aber mit internationalen Gästen.
Im November hat der ehemalige französische Außenminister Védrine einen Bericht zu den Folgen der Rückkehr Frankreichs in die NATO-Kommandostruktur und zu den Perspektiven für das Europa der Verteidigung vorgelegt. Darin heißt es: „Wir brauchen eine europäische industrielle Strategie innerhalb der NATO und gegenüber der NATO.“
In der aktuellen Diskussion um das Ende des Euro Hawk kommen manche Beobachter zu ähnlichen Schlussfolgerungen.
Einige Gründe, die zum Ende dieses technologischen Projekts geführt haben, zeigen: Strategien sind gut und wichtig. Doch die Wirklichkeit ist kompliziert. Das gilt zumal in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Und besonders kompliziert ist die Wirklichkeit im Bereich der Rüstung. Umso mehr kommt es beim Euro Hawk nun auf eine gründliche und sachliche Aufarbeitung an. Deshalb werde ich bald über den gesamten Weg dieses Projektes berichten.
Mehr ist heute aus meiner Sicht zu diesem Thema nicht zu sagen.

Anrede!
Sicherheitspolitik ist Politik gegen Unsicherheit. Wer für Sicherheit eintritt, muss mit Unsicherheit rechnen und umgehen. Das gilt für den einzelnen Soldaten im Einsatz, für den Staat und für die Politik.
Es ist eine der Kernaufgaben des Staates, Sicherheit nach innen und nach außen zu fördern.
Es gibt viele Definitionen von Sicherheit. Das zeigt sich schon in der Sprache: Wir haben im Deutschen nur einen Begriff für „Sicherheit“. Die englische Sprache kennt dafür mindestens zwei Worte: „security“ und „safety“. Mit „Safety“ wird etwa die Sicherheit im Straßenverkehr beschrieben. „Security“ entspricht dem Sicherheitsbegriff, über den wir mit Blick auf die internationalen Beziehungen sprechen.
In Deutschland haben wir den Wunsch, dass es in den internationalen Beziehungen genauso geregelt und sicher zugehen möge wie im Straßenverkehr.
In der Politik haben wir aber gelernt, dass Sicherheit heute mehr umfasst als die Abwesenheit von Krieg. Wir berücksichtigen Faktoren wie Demografie, Klima, Energie und Religion stärker als früher. All das brauche ich vor Ihnen nicht weiter auszuführen.
Im subjektiven Empfinden des Einzelnen und in der Wahrnehmung der Gesellschaft hat sich dieser Wandel des Sicherheitsbegriffs bisher noch nicht überall niedergeschlagen.
Zu Zeiten des Kalten Krieges beherrschte die unmittelbare militärische Bedrohung das Sicherheitsempfinden und dominierte die Sicherheitspolitik. Heute sind die Bedrohungen weniger militärisch im klassischen Sinne, weniger plakativ und weiter weg, aber genauso unmittelbar. Ich denke etwa an die Verwundbarkeit unserer kritischen Infrastruktur durch Cyber-Angriffe oder Terroranschläge.
Hinzu kommen die Folgen der zunehmenden globalen Verflechtung. Man muss kein Hellseher sein, um vorher zu sagen, dass Konflikte in der Welt mit direkten oder indirekten Auswirkungen auf unsere Sicherheit eher mehr werden.
Die Auslöser und Triebkräfte werden ähnliche sein wie heute: Ressourcen-knappheiten, regionale und globale Ungleichgewichte demografischer und ökonomischer Art, religiöser Fundamentalismus, Verschiebungen in den internationalen Machtverhältnissen.
Aber die Konfliktszenarien wandeln sich. Ich will nur drei Tendenzen nennen, die für mein Thema zentral sind:
* Inner- und zwischenstaatliche Konflikte vermischen und überlagern sich.
* Staaten sind weiterhin die zentralen Akteure der Sicherheitspolitik, allerdings gewinnen nicht-staatliche Konfliktteilnehmer an Bedeutung.
* Neben den klassischen Handlungsräumen Land – See – Luft gewinnen der Weltraum und der Informationsraum an Bedeutung.

Insgesamt gilt: Die Herausforderungen für unsere Sicherheit können nicht räumlich getrennt betrachtet werden. Entwicklungen in entfernten Regionen der Welt können sich genauso direkt auf unsere Sicherheit in Europa auswirken wie Konflikte in Europa selbst oder an der Peripherie.
Die Herausforderungen für unsere Sicherheit machen vor nationalen Grenzen nicht halt. Kein Staat kann sie in ihrer Komplexität allein bewältigen.
Was heißt das nun für die Souveränität der einzelnen Staaten? Ist Souveränität heute überhaupt noch möglich?

Der Begriff der Souveränität wurde durch den französischen Staatsrechtler Jean Bodin geprägt. Für ihn war souverän, wer die höchste Letztentscheidungsbefugnis hatte.
Seine These, wonach nur die unbeschränkte Konzentration aller rechtlichen und physischen Staatsgewalt in den Händen des Königs Sicherheit und Frieden im Lande garantieren könne, bereitete dem Konzept des staatlichen Gewaltmonopols den Weg.
Doch Bodins Idee von der völligen Unabhängigkeit des Herrschers oder Staates, der frei von jeglichem Zwang über seine inneren und äußeren Belange bestimmen konnte, hatte in der modernen Staatenwelt keinen Bestand mehr.
Heute sind die zunehmende politische und wirtschaftliche Interdependenz zwischen Staaten und das internationale System von zwischenstaatlichen und supranationalen Organisationen fester Bestandteil unserer politischen Umgebung und Kultur.
Die damit verbundene Begrenzung der Souveränität erleben wir sogar als Fortschritt. Wir Deutschen haben in Europa und in der NATO die Erfahrung gemacht, dass die Beschränkung unserer äußeren Souveränität – die ein politisches Bündnis zwangsläufig mit sich bringt – mit einem Gewinn an politischen Gestaltungsmöglichkeiten einhergehen kann.
Als Deutschland 1990 mit dem Abschluss der 2+4-Verträge seine volle Souveränität erlangte, hatte unser Land bereits bewiesen, dass die friedvolle Ausrichtung auf internationale Zusammenarbeit nicht nur ein Gebot des Grundgesetzes war, sondern Teil des politischen Konsenses und geübte Staatspraxis.
Das kam und kommt auch darin zum Ausdruck, dass unsere Bundeswehr in den Jahren seither immer in multinationaler Einbindung operiert. Dieses Prinzip ist zu einem festen Grundsatz unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik geworden.
Unsere Verfassung geht sogar noch weiter. Artikel 24 Absatz 2 Grundgesetz sieht explizit die Möglichkeit auf den partiellen Verzicht von Souveränität vor. Ich zitiere: „Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.“
Das ist – auch im Vergleich mit anderen Verfassungen – sehr weitgehend. Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass gerade in und für Deutschland immer wieder ein angebliches Spannungsverhältnis zwischen nationaler Souveränität auf der einen und internationaler Solidarität auf der anderen Seite festgestellt wird.
Vor allem das Parlaments-beteiligungsgesetz für den Einsatz deutscher Streitkräfte wird dabei zuweilen als Hindernis für die verlässliche Erfüllung von Bündnisverpflichtungen identifiziert, etwa bei der Bereitstellung von militärischen Fähigkeiten.
Dabei hat die Praxis im internationalen Rahmen und im Bündnis gezeigt, dass es kein grundsätzliches Hindernis für die internationale Zusammenarbeit darstellt und auch nicht für die Integration unserer Streitkräfte in multinationale Strukturen.
Grundsätzlich gilt: Parlamentsbeteiligung und nationale Souveränität sind kein Gegensatz, sondern gehören zusammen.

Mir scheint, dass unsere deutsche Regelung der Parlamentsbeteiligung international unverhältnismäßig stark thematisiert wird. Im konkreten Einsatzfall ist die Exekutive bei vielen unserer Verbündeten ebenso darauf bedacht, das Parlament zu konsultieren und in die Entscheidung einzubinden.
Jedes Land muss für sich selbst einen Weg finden, wie die Entscheidung über den internationalen Einsatz von Soldaten gestaltet sein soll. Diese Frage muss national entschieden werden.
Das entspricht auch der Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts. Karlsruhe hat in seinem Urteil zum Lissabon-Vertrag vom Juni 2009 hohe Hürden für die europäische Integration im Bereich der Verteidigungspolitik formuliert.
Im Urteil heißt es: „Auch wenn die Europäische Union zu einem friedenserhaltenden regionalen System gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 2 GG ausgebaut würde, ist in diesem Bereich wegen des - der Integrationsermächtigung des Art. 23 Abs. 1 GG insoweit vorgehenden - Friedens- und Demokratiegebots eine Supranationalisierung mit Anwendungsvorrang im Hinblick auf den konkreten Einsatz deutscher Streitkräfte nicht zulässig. Der konstitutive Parlamentsvorbehalt für den Auslandseinsatz der Bundeswehr ist integrationsfest.“ Zitat Ende.
Das Gericht macht im Weiteren einen Unterschied zwischen der Bereitstellung und Beschaffung auf der einen und dem Einsatzbefehl auf der anderen Seite. Ich zitiere: „Damit ist allerdings von Verfassungs wegen keine unübersteigbare Grenze für eine technische Integration eines europäischen Streitkräfteeinsatzes über gemeinsame Führungsstäbe, für die Bildung gemeinsamer Streitkräftedispositive oder für eine Abstimmung und Koordinierung gemeinsamer europäischer Rüstungsbeschaffungen gezogen. Nur die Entscheidung über den jeweiligen konkreten Einsatz hängt von der konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages ab.“ Zitat Ende.
Anders gesagt: Die Entscheidung über den Einsatz der Streitkräfte erfordert eine hohe demokratische Legitimation, die unser höchstes Gericht bisher nur in den Nationalstaaten gegeben sieht.
Die Entscheidung über Krieg und Frieden berührt den Kern der Souveränität. Dieses Verständnis legen auch unsere Bündnispartner ihrer Entscheidung über Beteiligung oder Nicht-Beteiligung zugrunde. Warum sollte Deutschland das nicht auch tun?
Ich sehe für unsere nationale Diskussion eher ein anderes Thema: In Deutschland meinen viele, unsere Souveränität komme vor allem dann zur Geltung, wenn wir im Unterschied zu anderen Nationen nicht militärisch handeln. Das wiederum halte ich aber ebenso für ein fehlgeleitetes Verständnis von Souveränität. Souveränität ist mehr als Autonomie.
Souveränität ist nicht nur ein reines Kontroll- und Abwehrrecht des Staates. Souveränität bedeutet vielmehr, Verantwortung tragen zu können, zu haben und auch selbst zu übernehmen.
Souveränität bedeutet unter den Bedingungen der Sicherheitspolitik von heute, dass wir unsere eigenen Werte und Interessen selbstbestimmt in Einklang bringen mit unseren Bündnisverpflichtungen und mit unserer internationalen Verantwortung. Das entspricht unserer Position als erwachsenes Land in der Mitte Europas. Wir können „ja“ oder „nein“ sagen, wie andere Staaten auch.
Ich glaube im Übrigen nicht, dass die Suche für das richtige Maß an nationaler Souveränität in der internationalen Zusammenarbeit ein spezifisch deutsches Problem ist. Im Gegenteil: Wenn wir fragen, ob und inwieweit die Mitgliedstaaten der EU oder unsere weiteren Partner in der Allianz zu einer – auch nur teilweisen – Abgabe von Souveränität bereit wären, wird die Antwort wohl nur selten so positiv ausfallen wie in Deutschland.
Deutschland ist zu mehr Kooperation im NATO-Bündnis und in der EU bereit. Das entspricht nicht nur den Werten unserer Verfassung, sondern auch unseren Interessen und den sicherheitspolitischen Erfordernissen.
Auf komplexe, multidimensionale und globale Herausforderungen können wir in unserer vernetzten Welt nur mit einem vernetzten Ansatz erfolgreich reagieren.
Die Vernetzung hat dabei zwei Dimensionen: Zum einen das Miteinander der Nationen und zum anderen das Ineinandergreifen der unterschiedlichen zivilen und militärischen Instrumente zur Konfliktverhütung und –bewältigung.
Deutschland war mit dem Konzept der vernetzten Sicherheit ein Vorreiter. Anfangs wurde dieses integrierte zivil-militärische Konzept zur nachhaltigen Konfliktbewältigung belächelt als Versuch, dem militärischen Gefecht auszuweichen. Heute ist es die grundlegende Philosophie in den Einsätzen der NATO und der EU.
Damit diese Vernetzung nicht erst in den Einsätzen beginnt, bietet z. B. das I. deutsch-niederländische Korps in Münster seit September 2011 eine gemeinsame zivil-militärische Einsatzvorbereitung im Rahmen des Projekts „Common Effort“ an. Zivile Nichtregierungsorganisationen und ein bi-nationaler militärischer Verband üben dort gemeinsam für den Einsatz.
Das Projekt ist nach Bewertung aller Beteiligten ein großer Erfolg. Man brauchte natürlich etwas Zeit, um sich aneinander zu gewöhnen, einander zu verstehen und zu vertrauen. Aber es funktioniert: Die NGOs erkennen die Rolle und Bedeutung des Militärs an und das Militär lernt zu akzeptieren, dass zivile Partner in anderen Bereichen größere Kompetenz besitzen.
Eine ähnliche Haltung brauchen wir auch im Hinblick auf die multinationale Ausrichtung unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Anhand konkreter Projekte müssen wir einüben, dass eine Arbeitsteilung, eine Beschränkung der Souveränität einen Zugewinn an Fähigkeiten bedeuten kann – und damit an politischer Handlungsfähigkeit.
Für Deutschland gilt dabei: Gemeinsame militärische Fähigkeiten wollen wir schwerpunktmäßig innerhalb der NATO aufbauen, gemeinsame zivile Fähigkeiten schwerpunktmäßig innerhalb der GSVP, aber immer mit Blick auf das jeweils andere Bündnis und immer komplementär, nicht doppelt.
Wir wollen komplementär planen – um auch komplementär wirken zu können.
EU und NATO stehen in unserer Sicherheitsarchitektur nicht in Konkurrenz, sondern leisten aufgrund unterschiedlicher Zielsetzungen, Strukturen und Fähigkeiten aufeinander abgestimmte Beiträge.
Die NATO ist für Deutschland der wichtigste sicherheitspolitische Anker. Deutschland leistet den zweitgrößten Beitrag zum Haushalt der Allianz. Wir beteiligen uns aktiv an den Operationen: Von derzeit rund 6000 deutschen Soldaten im Einsatz nehmen fast 5.300 an NATO-geführten Operationen teil.
Die GSVP ist nach, neben und in der NATO der wichtigste Pfeiler in der euro-atlantischen Sicherheitsvorsorge. Wir wollen die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit der EU ausbauen. Europa muss selbst in der Lage sein, Konflikte in Europa selbst und an seiner Peripherie zu lösen.
Deshalb beteiligt sich Deutschland hier mit Ausnahme von EUFOR ALTHEA in Bosnien und Herzegowina an allen Missionen und Operationen. Allein im vergangenen Jahr wurden drei neue Missionen gestartet. Anfang dieses Jahres fiel der Startschuss für die militärische Ausbildungs- und Trainingsmission EUTM Mali.

Anrede,
Vom Europäischen Rat zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Dezember, dem ersten Rat zu diesem Thema seit über 10 Jahren, erwarte ich weitere Impulse zur Stärkung der GSVP. Ich sehe dabei drei zentrale Aufgabenfelder:
(1) Erstens: Wir müssen gemeinsam definieren, was wir können und leisten wollen. Dafür brauchen wir eine Verständigung über Prioritäten. Dazu bedarf es gegebenenfalls einer Aktualisierung der Europäischen Sicherheitsstrategie von 2003.
(2) Zweitens: Um die Kohärenz, Effizienz und Wirksamkeit der GSVP nachhaltig zu stärken, sollten wir beim Rat den Willen formulieren, die bestehenden Verfahren und Prozesse der GSVP den tatsächlichen Erfordernissen der Einsätze anzupassen.
Ziel muss es sein, die EU zu einer besseren Planung und Führung von eigenen zivilen, militärischen und zivil-militärischen GSVP-Operationen zu befähigen. Das setzt den politischen Willen voraus, fehlende Fähigkeiten möglichst gemeinsam bereitzustellen.
(3) Deshalb sollten wir drittens den realistischen Willen bekunden, die notwendigen zivilen und militärischen Fähigkeiten bereitzustellen und bestehende Lücken zu schließen, im Rahmen von Pooling und Sharing.
Die Anforderungen sind bekannt: Wir müssen mehr und Neues können und wir müssen mehr gemeinsam und gemeinsam Neues können.
Das werden wir nur mit einer Strategie des entschlossenen Pragmatismus erreichen. Hier sind die europäischen Institutionen ebenso gefragt wie die einzelnen Nationalstaaten. Deutschland hat sich hier von Anfang an engagiert und ist zu mehr bereit. Wir beteiligen uns an Aktivitäten im Rahmen der EDA und im Rahmen von Pooling und Sharing, auch als Führungsnation.
Die Nationen bleiben die Träger von Fähigkeitsentwicklung und -erwerb. Ihr konkretes Engagement ist für den Erfolg multinationaler Kooperationsprojekte zentrale Voraussetzung – und ebenso ihre Bereitschaft, eine Führungsrolle für Einzelprojekte zu übernehmen. Auch das ist Ausdruck von kluger Souveränität.
Auf Dauer wird es darauf ankommen, dass Länder ihre Fähigkeiten auch verlässlich anderen bereitstellen, wenn sie gebraucht werden. Wir wissen: Damit gehen wir an die Grenze dessen, was einige Staaten zu leisten bereit sind.
Zentrale Fähigkeiten wie Aufklärung, Lufttransport, Luftbetankung, Logistik oder Ausbildung nur noch gemeinsam zu können, bedeutet auch, voneinander abhängig zu werden.
Deshalb sollten wir realistisch bleiben: Wir werden Redundanzen nicht ganz vermeiden können, wenn die EU handlungsfähig sein soll. Mitgliedsstaaten müssen die Möglichkeit haben, an konkreten Operationen nicht teilzunehmen, ohne dass dies die Handlungsfähigkeit der EU als Ganzes zunichte macht.

Anrede!
Um Fähigkeiten zu halten und zu erlangen, brauchen wir auch eine starke industrielle Basis in Europa. Deshalb unterstützt Deutschland die Bestrebungen der EU-Kommission, einen gemeinsamen Rüstungsmarkt in Europa zu stärken.
Als Verteidigungsminister geht es mir dabei vor allem um die notwendige industrielle Basis für die Fähigkeitsentwicklung der Bundeswehr und unserer verbündeten Streitkräfte.
Es ist unser gemeinsames Interesse in Europa und zwischen Politik und Industrie, diese Fähigkeitsentwicklung auch unter den Bedingungen von heute zu ermöglichen. Spezialisierung, verringerte Stückzahlen und knappere Finanzmittel erfordern eine gemeinsame Ressourcenstrategie.
Damit erhält die Rüstungszusammenarbeit einen neuen Stellenwert. Wir werden künftig noch stärker auf bi- und multinationale Kooperation setzen müssen als bisher.
Aber auch gemeinsam werden wir nicht alles leisten können. Unsere Zusammenarbeit sollte sich deshalb auf die Kapazität zum Erhalt, zur Entwicklung, Produktion und zum Betrieb von Fähigkeiten konzentrieren, die für unsere Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit von zentraler Bedeutung und anders nicht zu beschaffen sind.
Hierbei geht es nicht einmal um Großgeräte als vielmehr um den Erhalt von Know-how, von Fähigkeiten und um Versorgungssicherheit in kritischen Technologiebereichen.
Manche, weniger kritische Fähigkeiten können wir außerhalb Europas günstiger einkaufen. Und andere Fähigkeiten sind auf dem zivilen Markt günstiger und schneller zu beschaffen.
Längst gehen die Technologieschübe nicht mehr nur maßgeblich vom militärischen Sektor aus. Wir sollten uns deshalb diejenigen des zivilen Sektors stärker zu nutze machen als bisher.
Kein Land in Europa kann auf allen Gebieten die für komplexe Waffensysteme notwendige Hochtechnologie allein entwickeln und unterhalten. Kooperation und Spezialisierung im Verbund erscheint mir deshalb sinnvoll zu sein.
Die damit verbundene Abhängigkeit berührt andersartige Fragen der Souveränität, man könnte es „technologische Souveränität“ nennen. Märkte für Verteidigungsgüter wurden und werden immer von politischen Erwägungen und nationalen Vorbehalten beeinflusst. Das hat mit ihrem Symbolwert zu tun – und mit Sicherheitsinteressen. Staaten haben ein begründetes Interesse am Schutz sensitiver Technologien. Auch wir in Deutschland.
Umgekehrt heißt das, dass außerhalb dieses engen Bereichs eine europäische industrielle Zusammenarbeit möglich sein muss.
Natürlich müssen dafür die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen stimmen. Aber wir stehen hier auch nicht erst am Anfang. Mit der EDA besteht eine Struktur für die gemeinsame Planung. Mit OCCAR besteht eine Struktur für die gemeinsame Beschaffung. Notwendig ist darüber hinaus noch eine gemeinsame oder wenigstens abgestimmte Zulassung. Daran arbeiten wir.
Gleichzeitig müssen wir den Weg zum gemeinsamen europäischen Rüstungsmarkt weitergehen. Erste Schritte wurden zwar unternommen, aber von einem wirklichen Fortschritt sind wir noch weit entfernt. Wettbewerbsverzerrungen müssen abgebaut werden, um für alle Unternehmen einheitliche Marktchancen zu gewährleisten. Ich erwarte hierzu Vorschläge der Europäischen Kommission und der EDA.

Anrede!
All diese langfristigen Planungen sowohl in der NATO als auch in der EU bauen darauf auf, dass die größeren Staaten ein nicht vollständiges, aber doch breites Fähigkeitsspektrum vorhalten, zu dessen punktueller Tiefe im Einsatz kleinere Staaten mit ihren speziellen Fähigkeiten beitragen können. Das ist auch der bündnispolitische Grund, die Neuausrichtung nach dem Prinzip „Breite vor Tiefe“ vorzunehmen.
Es gibt nicht die „Krise von der Stange". Das hat uns die Vergangenheit gelehrt, das zeigt sich immer wieder in der Gegenwart. Und Zukunftsprognosen in der Sicherheitspolitik sind ungewiss. Deshalb existieren keine Patentrezepte für das „richtige“ Fähigkeitsspektrum. Man kann nicht auf alles gut vorbereitet sein. Aber man sollte für nichts gänzlich unvorbereitet sein.
Wir sind heute schon Rahmennation. Die Bundeskanzlerin hat auf der Bundeswehrtagung im vergangenen Oktober bereits darauf hingewiesen, dass wir auch künftig Anlehnungsmacht sein wollen.
Dazu müssen wir in vielen Operationsformen Aufgaben und Verpflichtungen übernehmen können. Erst diese Grundlage durch die großen Partner macht eine echte Arbeitsteilung im Bündnis oder in der EU möglich.
Unser Konzept der Rahmennation ist eine Einladung an unsere Partner, Kräfte zu bündeln und gemeinsame Wege zu gehen.
Wegweisend dafür ist der Schritt, den wir mit den Niederlanden gehen. Heute Nachmittag werden meine niederländische Kollegin und ich die Absichtserklärung zur Intensivierung der deutsch-niederländischen Beziehungen im Bereich der Verteidigung unterzeichnen.
Deutschland stellt im Rahmen eines multinationalen Fähigkeitsverbundes die Führungs- und Unterstützungsstrukturen bereit, die Partner mit Streitkräften kleinerer und mittlerer Größe nicht in gleichem Maße aufbringen können. Die kleineren Partner bringen im Gegenzug ihre Fähigkeiten zur Stärkung der Durchhaltefähigkeit ein.
Das ist ein positives Beispiel für die Gestaltung von bilateralen Partnerschaften. So wird einem planlosen und unabgestimmten Abbau von Fähigkeiten vorgebeugt.
Souveräne Entscheidungen entbinden nicht von der Verantwortung im Bündnis. Wer auf wichtige bestehende Fähigkeiten verzichtet, muss klarstellen, welche Fähigkeiten wer zu welchen Kosten und mit welchen Konsequenzen für Einsätze übernehmen soll.

Anrede!
Deutschlands Verantwortung hat sich verändert, auch und vor allem in der Sicherheitspolitik.
Bis 1990 bestand unsere sicherheitspolitische Verantwortung vor allem darin, unser Land und Mitteleuropa durch Abschreckung zu verteidigen, möglichst ohne die Anwendung von militärischer Gewalt, nur durch die Balance von Sicherheit und Entspannung. Das haben wir Schulter an Schulter mit unseren NATO-Alliierten gemacht. Oft haben wir dabei auf die starken Schultern der anderen verwiesen.
Heute tragen wir als vereintes, starkes und souveränes Land im Herzen Europas Mitverantwortung für Stabilität und Sicherheit in der Welt. Wir gehören heute selbst zu den starken Schultern. Wir werden gefragt. Unser Einfluss ist erwünscht und anerkannt. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr, mit historischem Bewusstsein und politischem Augenmaß.
Wir setzen unsere Souveränität ein – für die Sicherheit Deutschlands, Europas und in der Welt.
Das entspricht unseren Werten, unseren Interessen und unserer internationalen Verantwortung.